Samstag, 18. April 2009

Die Aberziehung von Kulturleistungen

Der Microbloggingdiensgt Twitter feiert in den USA ungeahnte Siegeszüge (http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/6/0,3672,7555686,00.html).

Mir scheint es, als ob der Erfolg dieser und manch anderer moderner Technik dem Verzicht auf die Erbringung bestimmter Kulturleistungen zu verdanken ist. Bei einer Nachricht von 140 Zeichen brauche ich weder eine besondere Konzentration noch eine bestimmte formale Ettikette, geschweige denn die Fähigkeit, einen längeren Text zu strukturieren und zu formulieren. Das Niveau der Äußerungen bewegt sich (und zwar notwendigerweise) auf der Stufe einer sprachlichen Alltagsäußerung innerhalb der Gesicht-zu-Gesicht-Kommunikation. Das kann JEDER. Auch der gewöhnliche US-Amerikaner, solange Sprache mit zu den anthropologischen Konstanten gerechnet werden darf.

Das Web2.0 schraubt sich somit auf die Fähigkeiten und das Niveau der bildungsmäßig betrachtet untersten Stufe zurück. Kommentare zu Fernsehsendungen beispielsweise müssen nicht mehr geschrieben werden, es genügt ein Video, dass jeder Trottel mit dem Handy aufnehmen und auf Youtube stellen kann. Handy ist ein gutes Stichwort in diesem Zusammenhang: Seine massenhafte Verbreitung ist vielleicht auch dem Umstand zu verdanken, dass auf Geschwätz nun niemand mehr verzichten muss, auch wenn er weit von seinem Mitschwätzer entfernt sein sollte.

Das ist ja im Grunde auch nicht problematisch, da wir alle Alltags-Schwätzer und somit in gewissem Grade auch Kulturignoranten sind. Nur: vormals waren wir wenigstens zu bestimmten formalen Anlässen gezwungen, uns höheren Kulturtechniken zu bedienen und diese einzuüben, im besten Falle sogar voranzutreiben. Diese Notwendigkeit hierzu geht uns durch die Absenkung der technischen Mitmachschwelle verloren, die eine Ausweitung schnoddrigen, bequemen Alltagsgewohnheiten in bisher unbekanntem Maße ermöglicht.

Der wirklich entscheidende Punkt ist aus meiner Sicht eine ungünstige Auswirkung dieser Technik auf das absolut zur Verfügung stehende Zeitbudged jedes einzelnen: Jeder hat nur 24 Stunden am Tag, regelmäßig wahrscheinlich eher 16 in wachem Zustand. Arbeit, Ausbildung oder Schule und die notwendigen Lebenserhaltungsverrichtungen abgezogen bleiben vielleicht noch 6 Stunden zur relativ freien Verfügung übrig. Und die sind jeden Tag nur ein einziges Mal gestaltbar. Wer twittert oder abboniertes Getwitter liest (was sich ja leicht zu Massen summieren soll), kann nicht gleichzeitig konzentriert ein Buch lesen oder einen Brief, entschuldigung - eine email schreiben - oder einfach zusammenhängend über ein Problem nachdenken (Die Besinnung auf ein "Singletasking" finde ich einen nachdenkenswerten Begriff im Bereich der Arbeitsorganisation). Wo eins ist, kann nicht gleichzeitig ein anderes sein. Vor lauter Faszination der Möglichkeiten erlauben wir eine Vermüllung unserer Zeitressourcen, wir werden zu Messies: Ein bißchen Sammmeln ist ok, wahlloses Horten ist krankhaft.

Wahl wird damit zu einer Zumutung, die uns vielleicht im Zeitalter des Briefes häufiger erspart geblieben ist. Eine Zumutung die gleichzeitig unumgehbar ist, wenn wir noch einigermaßen selbstbestimmt bleiben wollen. Das ist keine Lapalie, denn Fremdbestimmung ist nicht nur dem Freigeist unangenehm sondern bietet den Nährboden für eine Vielzahl von psychischen Erkrankungen und gesellschaftlichen Problemen. Es ist vielleicht sogar eine der Grundfragen menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Während uns diese Erkenntnis als relativ frischen Demokraten selbstverständlich erscheint, lassen wir uns durch die Hintertüre medial verführen und überrumpeln.

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