Sonntag, 9. September 2007

Gotteslästerung

Verdeckt unter dem Mantel der vermeintlich gezähmten, westlichen Religionen, insb. des Katholizismus, die so friedenslichtern und taizésingend daherkommen, findet in seiner Fundamentalität fast unbemerkt ein neuer Kampf um die Macht in unserer Gesellschaft statt. Im Windschatten einer Extremismusdiskussion werden Forderungen laut, Gotteslästerungen unter Strafe zu stellen, wie jetzt beispielsweise aus Bayern.

Wieder ein Zeichen mehr dafür, wie schwach die Überzeugungen der Kirchen und ihrer Mitglieder sind, wie wenig Selbstvertrauen sie auf die Wirksamkeit ihrer eigenen Botschaften haben. Wieder ein Zeichen, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht als um Theologie, nämlich um die Vorherrschaft über Wirklichkeitsdeutungen und ihre Durchsetzung. In einer Zeit nach den großen Ideologien des Kalten Krieges sind wir unsensibel gegenüber den Gefahren, die Sprach- und Denksysteme darstellen können, auch wenn sie (noch) keine spürbaren Auswirkungen auf unseren Alltag darstellen. Hier geht es um die Vorbereitung einer mittelfristigen Entwicklung, um die Herstellung eines Fundamentes für ein Gebäude, dessen Gestalt wir mißbilligen würden, lägen die Pläne offen auf dem Tisch.

Wie jede Selbstverständlichkeit sind uns die Errungenschaften der Moderne (anders als ihre immer deutlicher werdenden Schattenseiten und Gefahren!) nicht in dem Maße bewußt, wie es gegenüber den konservativen Gefahren gerechtfertigt wäre. Moderne ist nicht zuletzt ein Unternehmen, dessen Fundament der Freiheitsgedanke ist (nicht die Freiheit, sondern das Denken und Sprechen von Freiheit!). Je mehr Freiheit im Zuge dieses Projekts verwirklicht wird, um so mehr erstarkt ein Gefühl von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit - jedenfalls solange wir nicht Bildungsinstitutionen schaffen, die den Umgang mit der Freiheit, die Formgebung des eigenen Lebens, tradieren. Hier besteht eine Lücke.

Und wie jeder Riß im Asphalt, jede Nische einer Mauer mit Unkraut (auch wenn es schön blühen sollte, es bleibt Unkraut) zuwuchert, wird auch diese gesellschaftliche Nische sofort besetzt, namentlich durch die Pharisäer mit ihrer Gesetzes- und Dogmengläubigkeit, sei es der Islam, der Katholizismus oder evangelische Freikirchen. Sie geben mit einem Male Halt im Übermaß, bieten Antworten, nicht Fragen und endlich trennt sich klar Schwarzes von Weißem. Dazu gibt es noch Superstars gratis (Ratzinger), die sich mit Benedetto-Chören anbeten lassen. Wieso eigentlich unterbindet ein Stellvertreter Christi nicht solche heidnischen Personenkulte? Weil es um Macht geht. Weil es um Weltbilder geht, um Deutungshoheit.

Die Moderne selbst ist durch die Postulation der menschlichen Autonomie eine Gotteslästerung an sich. Die Forderung nach einer Strafbarkeit derselben - auf welchen leisen Sohlen sie auch eingeführt wird - ist antimodern und bereitet den Boden vor, für Entwicklungen, die Probleme einer modernen Gesellschaft nicht lösen sondern uns in Probleme einer mittelalterlichen Gesellschaft zurückführen, um ihnen dann mit ebenso mittelalterlichen Denkfiguren zu begegnen: Eine Lösung erfolgt damit aber keineswegs.

Stellen wir uns doch den Problemen unserer Zeit; versuchen wir sie mit den Mitteln unseres modernen Denkens zu bewältigen. Warum sollte ein Gottesglaube hilfreicher sein als menschliche Vernunft? Lernen wir doch, unsere (natürlich fehlerbehaftete) Selbstformung und -gesetzgebung zu verbessern und Methoden derselben an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Wieso stattdessen wieder in Sprach- und Denkstrukturen zurückfallen, die aus Zeiten übelster Monarchie herrühren und uns wieder in (nicht begründete, willkürliche) Hierarchien ein- und unterodnen wollen. Lieber der Macht von potentielle demokratisch sanktionierbaren Konzernen ausgesetzt sein als der Macht einer nicht mehr zu hinterfragenden göttlichen Regierung (hier wird in der katholischen Kirche oft das Wort "Geheimnis" aus der Tasche gezaubert und auf die Schrift verwiesen - Glauben sei eben kein Wissen!). Dass Religion, insb. die katholische die Vernunft nach ihrem Gutdünken einsetzt oder aber auch ignoriert, zeigt Papst Benedikt in seiner Veröffentlichung über Jesus: Hier ignoriert er nicht nur die Ergebnisse der historisch-kritischen Bibel-Forschung, er greift die Vertreter dieser anerkannten Wissenschaftsrichtung auch noch an. Nein, hier geht es nicht um die Suche nach Wahrheit, hier geht es unerbittlich und strategisch um Macht, und zwar um sehr weltliche Macht.

Eine Religion muss sich der Kritik, aber auch dem Spott stellen, so lange es keine persönliche, und damit selbstverständlich strafbare Beleidigung i.S.d. StGB ist. Eine Karikatur des Papstes kann an diesen Maßstäben gemessen werden, wie die Karikatur jeder anderen Person.

Die Motive (cui bono?) und die Legitimation der Strafbarkeit einer "Beleidigung" gegenüber einer Weltanschauung, eines Denksystems als solchem - wie es eine Gotteslästerung eigentlich wäre - sollten sehr genau überprüfg werden. Ich möchte doch noch öffentlich behaupten dürfen: Der bayrische Katholizismus ist ein kompletter Unfug, Alt-Ötting ein heidnisches Massenspektakel und das Papsttum in seiner jetzigen Form ein Blinddarm der Weltgeschichte - und zwar ohne dafür bestraft zu werden. Ja wo leben wir denn sonst?
Dafür aktzeptiere ich gerne, wenn mir ein evangelischer Freikirchenanghänger ins Gesicht sagt, dass er zwar zu den Geretteten gehören wird (er betont mehrfach sein sicheres Wissen), ich aber ohne einen Wechsel zu seiner wörtlichen Bibelgläubigkeit in der Hölle schmachten werde. Ich finde ehrlich gesagt "Arschloch" eine punktuellere Charakteraussage als "Du wirst ewig in der Hölle brutscheln", insofern auch weniger beleidigend, aber sei's drum.

Bei mir mehrt sich der Verdacht, dass einzig ein eigenständigeres Denken frei macht, nicht der Glaube (ich habe lange letzteres für möglich gehalten) und auch die Vermutung, dass Jesus weniger Wallfahrten nach Alt-Ötting beabsichtigt hat denn eine Mehrung eigenen und eigenverantwortlichen Denkens und Handelns, hier lohnt sich, auch für jeden Kirchenkritiker, die Lektüre des Neuen Testaments.

Liebes Deutschland, liebes Bayern, liebe Katholiken: Haltet die Gotteslästerung straffrei und laßt ihn doch einfach selbst über die Lästerer richten! Er muß sich dann auch nicht an die Grenzen der deutschen Strafvollzugsgesetze halten, und wir würden dafür nicht 3 Jahrhunderte europäische Geistesgeschichte über Bord werfen, überelegt es Euch!

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