Sonntag, 23. September 2007

Glauben als Virus?

Wenn Richard Dawkins jeglichen religiösen Glauben als Virus darstellt, ist das sicherlich eine terminologische Zuspitzung (http://wind.penzeng.de/Viren.htm). Die Frage ist aber vielmehr, ob die generelle Einschätzung der Gefährlichkeit einer Glaubensempfänglichkeit zutrifft. Vielleicht handelt es sich bei religiösem Glauben um die Zweckentfremdung und Pervertierung einer Bewußtseinsfunktion, die in bestimmtem ontogenetischen und phylogenetischen Entwicklungsstufen nicht nur unschädlich sondern sogar notwendig ist bzw. gewesen ist. Denn letztlich ist unser Wissens insgesamt ja wissenssoziologisch betrachtet an sich nichts anderes als legitimierter und sanktionierter Glaube. Es stellt sich eher die Frage nach der Güte der jeweiligen Legitimationssysteme; z.B. ob neben einer sozialen Rückbindung des Wissens auch so etwas wie eine naturalistische, objektive Rückbindung (jedenfalls in Bezug auf die Grenzziehung von Wirklichkeitsaussagen) existiert. Dann wäre nebe der notwendigen gesellschaftlichen Determination von Wissen eine Rückkoppelung an die Validität eigener Erfahrungen und deren Reflexion im Sinne Deweys möglich und würde zu einer Wissenssteigerung, jedenfalls aber einer permanenten Wissenskorrektur im Falle von irrealen, nicht mehr vertretbaren Abweichungen hinführen, Dawkins würde sagen: Zu einer Vernichtung des viralen Codes.

Die Bewußtseinsfunktion "Glauben" i.S.d. unhinterfragten Übernehmens von unüberprüften Wirklichkeitsplatzhaltern ist ebenso notwendig wie die Funktion von "Vorurteilen". Da es sich um Funktionen und nicht um Inhalte handelt, werden sie wahrscheinlich auch nicht auszurotten sein, weder durch bloße Argumente noch durch ein Darkinsches Antivirusprogramm. Entscheidend ist allein, ob und wie wir lernen, mit dieser Funktion umzugehen. Der Mensch steht also vor der Organisation, der Gestaltung eines allgemeinen Bildungsproblems. Gelingt es ihm, diese Bildungsoption in seinem sozialen System zu etablieren, könnten die Fehlanwendungen der Glaubensfunktion, zumindest im Grundsatz, vielleicht verhindert oder minimiert werden.

Letztlich ist dies eine allgemeine Frage der Lebenskunst, des alltäglichen wie auch wissenschaftlichen Welt-Denkens, das in einer ausgebildeten Form nicht als gegegben anagenommen werden darf sondern als immer wieder, von Generation zu Generation - mit wechselnden Inhalten - als ein zu Tradierendes und Wiederherzustellendes begriffen werden sollte.

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